NEIN zum nordischen Modell

Warum Sexarbeitende gegen Freierbestrafung sind

Im nordischen Modell machen sich Freier strafbar, Sexarbeitende selbst aber nicht. Es klingt wie eine positive, feministische Lösung für Probleme in der Sexbranche. Aber trotz der progressiven Fassade verfehlt dieses Modell sein Ziel für alle, die in der Sexbranche arbeiten.

Finden Sie heraus, wieso:

Mythos:

„Sexarbeitende werden unter dem nordischen Modell nicht bestraft“

Obwohl unter dem nordischen Modell Sexarbeitenden keine strafrechtlichen Konsequenzen drohen, gehen Sexarbeitende trotzdem Risiken ein, deren Konsequenzen Strafen gleichkommen.

Diejenigen, die lebensnotwendige Dienstleistungen für Sexarbeitende anbieten, müssen mit einer Strafanzeige rechnen. Sexarbeitende können ihre Wohnungen verlieren, falls ihre Vermieter von ihrem Beruf erfahren. Denn sie müssen Sexarbeitende entweder kündigen, oder sie machen sich selbst strafbar. Diese Gesetze sollen Zuhälterei bekämpfen, führen aber in der Realität zu Obdachlosigkeit und Existenzängsten unter Prostituierten.

Auch private Beziehungen können Sexarbeitenden unter dem nordischen Modell verboten werden. Sexarbeitende können keine privaten romantischen Beziehungen in Sicherheit haben, denn ihre Partner können als Kunden oder Zuhälter bestraft werden, wie zum Beispiel in Schweden:

Haben Sie schon gewusst, dass es in Schweden praktisch für Sexarbeitende illegal ist, einen Partner zu haben? Romantik, Dating, Beziehungen, sichere Verbindungen, ein Familienleben und Liebe dürfen wir uns scheinbar nicht wünschen. Schon wieder ist einen Partner in Schweden verhaftet worden, nur weil er eine Sexarbeiterin liebt.

Mythos:

„Das nordische Modell hilft gegen Menschenhandel im Prostitutionsgewerbe“

Das nordische Modell hilft nicht gegen Menschenhandel und könnte auch das Problem verschlimmern.

Irland führte 2017 das nordische Modell ein. Zu der Zeit hatte das Land schon den bestmöglichen Rang für die Bekämpfung von Menschenhandel, Rang 1 („Tier 1“). Aber seitdem es das nordische Modell eingeführt hat, ist Irland mit wachsenden Problemen mit Menschenhandel um 2 Stufen zurück gefallen auf Rang 2 Watchlist („Tier 2 Watchlist“). Island ist ebenfalls 2017 auf Rang 2 zurück gefallen, nachdem es 2009 das nordische Modell einführte. Neuseeland aber, das die Sexarbeit 2003 entkriminalisiert hat, ist immer noch auf Rang 1.

In der Praxis bindet das nordische Modell Polizeiressourcen für die Ermittlung von Menschenhandel und verschwendet sie mit der Ermittlungen der einvernehmlichen Sexarbeit. Da alle Sexarbeit unter dem nordischen Modell illegal ist, kann man dann nicht mehr sagen, wer zum Verkauf von Sex gezwungen wird und wer es einvernehmlich macht.

Ein Sexverbot nach dem nordischen Modell würde die Frauen erst recht wieder ins Dunkelfeld abtreiben — also sie würden wieder verschwinden. Sie wären für uns dann wieder eine graue Masse und viele würden dann diese Dienstleistung in der Illegalität benutzen. Für uns als Polizei ist es dann sehr schwer zu ermitteln.

— Erika Krause-Schöne,
Gewerkschaft der Polizei

Mythos:

„Das nordische Modell funktioniert, weil es die Nachfrage nach Bezahlsex beendet“

Irgendwas zu verbieten bedeutet nicht, die Nachfrage danach zu beenden. Drogen sind illegal, werden aber trotzdem gekauft und konsumiert. In den Ländern, die sich für das nordische Modell entschieden haben, gibt es immer noch eine Nachfrage nach Bezahlsex.

Das nordische Modell verschlechtert die Lage für Sexarbeitende, weil es die guten, gesetzestreuen Kunden abschreckt. Nur die Kunden bleiben, die schon wahrscheinlicher gegen Gesetze und Regeln verstoßen. Das erhöht das Gewaltrisiko für Sexarbeitende. Sexarbeitende sind dann so von Angst umgeben, dass sie dazu gezwungen werden, gefährliche Kunden anzunehmen, um genug Geld verdienen zu können.

Ich mache jetzt für 20 was ich vor nur einem Jahr nicht für 40 gemacht hätte. Ich steige in Autos ein, in die ich früher nicht eingestiegen wäre.

Sexarbeiterin in Marseille, Frankreich, 2015

Mythos:

„Unter dem nordischen Modell haben Sexarbeitende die Möglichkeit, aus der Sexbranche auszusteigen“

Während Befürworter des nordischen Modells behaupten, dass Umstiegshilfe ein zentrales Element des Modells ist, ist die Umstiegshilfe in der Praxis fast unauffindbar oder schlecht umgesetzt. Viele Sexarbeitende wollen ihren Job nicht verlassen aus vielen verschiedenen Gründen. Für viele ist die Sexarbeit die beste Möglichkeit, sich und ihre Familien zu ernähren. Von der Prostitution umzusteigen würde ihre Lebensqualität verschlechtern.

Frankreich, wo das nordische Modell 2016 umgesetzt wurde, ist ein typisches Beispiel dafür, wie Umstiegsprogramme daran scheitern, die Prostitution zu beenden:

Die Kriterien für den Zugang zur Ausstiegshilfe und die Beschränkungen der angebotenen Unterstützung […] verhindern die meisten daran, sie zu beantragen, insbesondere diejenigen, die die Hilfe am meisten benötigen.

Die Mehrheit der Sexarbeitenden […] wollen keine Ausstiegshilfe beantragen.

— Médecins du monde

Israel verabschiedete 2018 ein Gesetz für das nordische Modell, mit 18 Monaten Übergangszeit, in dem die Regierung Sexarbeitenden helfen sollte, neue Jobs zu finden. Bis zum Ende dieser Zeit wurde nur 30% des Geldes dafür ausgegeben:

Jetzt wo [Freierbestrafung] durchgesetzt wird und beispiellose Arbeitslosigkeit und Unsicherheit das Land beherrscht […] wurde wenig getan, um Sexarbeitenden zu helfen, um in einen anderen Beruf umzusteigen.

In der Praxis ist Umstieg eine komplexe Frage für viele Arbeitende. Diskriminierung gegen ehemalige Sexarbeitende ist weit verbreitet, auch in Ländern, wo Sexarbeit legal ist. Damit ist es noch schwerer für Sexarbeitende, die umsteigen wollen, einen neuen Job zu finden. Das nordische Modell verschlechtert diese Diskriminierung, weil es das Stigma gegen Sexarbeit erhöht.

Keine Person, die es nicht will, sollte Sexarbeit tun müssen, aber das nordische Modell hilft denjenigen nicht, die umsteigen wollen. Es setzt sie unter Druck, was kontraproduktiv für Umsteigende ist, während sie versuchen, neue Fähigkeiten und Kenntnisse zu lernen und neue Arbeit zu suchen.

Was gibt es für andere Modelle?

Alle wollen Gewalt in der Sexbranche und Menschenhandel beenden. Die Frage ist aber: wie?

Strafandrohungen führen dazu, dass Sexarbeitende ihre Wohnungen und Partner verlieren, sich dem Risiko, Gewalt von Kunden zu erleben gestellt werden. Dabei bekommen auch die Ausgebeuteten und Missbrauchten nicht die Hilfe, die sie brauchen. Das stimmt auch in Ländern, wo Sexarbeit teilweise legalisiert ist und nur bestimmte Aktivitäten (z.B. Bordellbetreibung oder öffentliche Werbung) strafbar sind.

Entkriminalisierung

Die Lösung ist die Entkriminalisierung von Sexarbeit für Kunden und Sexarbeitende. Unter diesem Modell wird Sexarbeit als ein normaler Job behandelt und Sexarbeitende genießen den gleichen sozialen Schutz wie alle andere. Viele Organisationen weltweit befürworten dieses Modell, inklusive Amnesty International und die Weltgesundheitsorganisation. Aktive Sexarbeitende weltweit fordern Entkriminalisierung als das bestmögliche Modell für die rechtliche Behandlung der Sexbranche.

Obwohl Sexarbeitende und normale Kunden entkriminalisiert werden, bleibt Menschenhandel strafbar. Missbrauch bleibt strafbar. Vergewaltigung bleibt strafbar. Entkriminalisierung ermöglicht Sexarbeitenden, über ihren eigenen Beruf entscheiden zu können und das Rechtssystem zu ihrem Vorteil zu benutzen.

Fakt:

Es gibt selbstbestimmte, einvernehmliche Sexarbeit

Wie alle andere Arten von Arbeit, haben viele Sexarbeitende ihren eigenen Beruf für sich selbst ausgesucht. Manche brauchen einfach nur das Geld; manchen gefällt die Arbeit auch. Alle Modelle der Kriminalisierung nehmen ihnen diese Entscheidung.

Für diejenigen, die Sexarbeit nur wegen dem Geld tun, stellt Kriminalisierung eine Gefahr dar, weil sie Sexarbeit benutzen, um sich aus der Armut zu holen. Diejenigen, die aus Armut die Entscheidung getroffen haben, Sexarbeit zu tun, würden meistens damit aufhören wollen, aber sie finden, dass es besser ist, mit Sexarbeit Geld zu verdienen als in Armut zu leben. Wenn Menschen aus Armut zu Sexarbeit gezwungen werden, ist das Problem Armut und nicht Sexarbeit. Damit Umstiegshilfe effektiv ist, müssen diejenige, die in Armut leben, finanziell unterstützt werden. Kriminalisierung kann die Armut nicht bekämpfen.

Für diejenigen, die Sexarbeit tun, weil ihnen die Arbeit gefällt, nimmt Kriminalisierung ihren Beruf. Es gibt keinen Grund, Sexarbeitende zu einem schwierigen und unerwünschten Berufsumstieg zu zwingen, wenn sie ihren Job mögen.

Fakt:

Entkriminalisierung vermindert Gewalt gegen Sexarbeitende

Weltweit sind Polizisten die häufigsten Gewalttäter gegen Sexarbeitende. Entkriminalisierung vermindert Gewalt gegen Sexarbeitende, weil Sexarbeit selbst aus dem Strafrecht entfernt wird.

Verstöße gegen die Rechte von Sexarbeitenden sind […] weit verbreitet und gut belegt. […] Polizeigewalt gegen Sexarbeitende ist eine anhaltende Realität weltweit.

Melissa Gira Grant, Playing the Whore

Nachdem in Neuseeland Sexarbeit entkriminalisiert wurde, meldeten 57% der Sexarbeitenden, dass die Haltung der Polizei zu Sexarbeitenden sich verbessert hatte, während Sexarbeitende auf dem Straßenstrich sich nicht mehr von Polizeibeamten belästigt fühlten.

Überdies gibt Entkriminalisierung Sexarbeitenden das Selbstvertrauen, eventuell gefährliche Kunden abzulehnen und zusammen zu arbeiten, um sich selbst zu schützen. In Ländern wie Großbritannien, wo Bordellbetreibung (wie unter dem nordischen Modell) verboten ist, können Sexarbeitende bestraft werden, wenn sie zusammen in einem Haus arbeiten. Sehen Sie in diesem Kurzfilm, wie das ihre Sicherheit gefährdet:

ECP Film: Decriminalise sex work to #MakeAllWomenSafe

Wenn Sexarbeit entkriminalisiert ist, können Sexarbeitende legal zusammen zu ihrer eigenen Sicherheit im gleichen Haus arbeiten.

Fakt:

Entkriminalisierung verbessert Sexualgesundheit und fördert sicherere Sexualpraktiken

Wenn Sexarbeit strafbar ist, werden weniger Safer-Sex-Praktiken angewendet. Sozialarbeiter müssen manchmal Angst haben, gegen Gesetze zu verstoßen, wenn sie Sexarbeitenden Kondome oder sogar Gesundheitsberatung geben. In Frankreich fanden Sexarbeitende, dass es schwieriger wurde, Kunden zu Kondomnutzung zu verpflichten, nachdem das nordische Modell eingeführt wurde.

Dagegen führt die Entkriminalisierung der Sexarbeit dazu, dass Ansteckungen von sexuell übertragbarer Infektionen dramatisch sinken. Im US-Bundestaat Rhode Island sanken die Ansteckungszahlen um 40%, nachdem die Prostitution teilweise entkriminalisiert wurde. Da weniger Menschen in der Gesamtbevölkerung sexuelle Krankheiten tragen, profitieren auch Menschen, die kein Sex kaufen, von den geringeren Infektionszahlen unter möglichen Sexpartnern.

Studien mit Modellen zeigen, dass die Entkriminalisierung der Sexarbeit zu einer Senkung neuer HIV-Ansteckungen um 46% unter Sexarbeitenden in 10 Jahren führt.

Alle Länder sollten sich für die Entkriminalisierung der Sexarbeit einsetzen, sowie für die Beseitigung der ungerechten Anwendung von anderen Gesetzen und Vorschriften gegen Sexarbeitende.

Weltgesundheitsorganisation

Fakt:

Entkriminalisierung hilft allen, auch Missbrauchsopfern

Entkriminalisierung hilft Sexarbeitenden dabei, zusammen gegen Missbrauch vorzugehen, ob diese von Zuhältern, Bordellbetreibern, oder schlechten Kunden ausgeübt wird. Sexarbeitende können klagen oder Strafanzeigen erstatten, um sich gegen Misshandlung und unsaubere Geschäftspraktiken zu wehren.

Die komplette Entkriminalisierung ist unglaublich toll und es ist sehr wichtig, dass es überall durchgesetzt wird. Dank Entkriminalisierung können wir offen arbeiten, uns vor Polizeigewalt schützen und sogar Hilfe von der Polizei suchen, wenn wir sie brauchen. Es gibt tatsächliche Fälle, in denen Kunden von Sexarbeitenden verklagt worden sind, weil sie gegen die Bedingungen ihrer Dienstleistungen verstoßen haben.

„Llaren“, Sexarbeiterin in Neuseeland

Entkriminalisierung hilft auch den Opfern von Zwangsprostitution. Durch Entkriminalisierung können Kunden mögliche Fälle von Zwangsprostitution der Polizei melden, ohne selbst Angst haben zu müssen, wegen Sexkauf verhaftet zu werden. In Schweden sind schon solche Fälle nicht gemeldet worden, weil Kunden, die einen Verdacht haben, keine Meldung erstatten können. Mit Entkriminalisierung wäre das kein Problem.

Wie Sie Entkriminalisierung unterstützen können

Die meisten Länder der Welt haben aktive Aktionsgruppen für die Entkriminalisierung von Sexarbeit, die von und für Sexarbeitende betrieben werden. Die meisten sind Mitglieder im Global Network of Sex Work Projects. In Deutschland können sie den BesD unterstützen; in Österreich, die BSÖ.

Diese Initiativen brauchen Ihre Hilfe! Sie können für ihre Arbeit spenden oder auch zu einer Demo gehen und die Stimme für Sexarbeitende erheben!